Neuer Sammelband stellt konventionelle Sicht auf frühes Christentum infrage
04.11.2025
Waren die ersten Christen wirklich politisch unkritisch? Theologe Christoph Heilig hat dazu einen Sammelband herausgegeben.
04.11.2025
Waren die ersten Christen wirklich politisch unkritisch? Theologe Christoph Heilig hat dazu einen Sammelband herausgegeben.
Privatdozent Dr. Christoph Heilig von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU hat den Sammelband „Empire Criticism of the New Testament“ herausgegeben, der das Verhältnis des frühen Christentums zum römischen Reich grundlegend neu beleuchtet. Das bei Mohr Siebeck erschienene und im Open Access verfügbare Werk vereint die Beiträge von zwölf internationalen Expertinnen und Experten, die mit innovativen methodischen Zugängen – von Narratologie über Numismatik bis zur historischen Psychologie – zeigen, wie differenziert frühe Christinnen und Christen mit der römischen Herrschaft interagierten.
Die Materialbasis, auf deren Grundlage wir über das Verhältnis von Staat und Kirche oder über Widerstand gegen unterdrückerische Regime aus christlicher Perspektive nachdenken, ändert sich damit fundamental.Christoph Heilig
© LMU/Stephan Höck
Der Band widerspreche einem verbreiteten Missverständnis, so Christoph Heilig: Lange galt die Annahme, frühe Christinnen und Christen seien politisch unkritisch gewesen und hätten die römische Herrschaft befürwortet – wie die bis heute in politischen Debatten zitierte Passage aus Römer 13 nahelegt, wo Paulus zur Unterordnung aufzufordern scheint: „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen“ (Verse 1-2; Luther 2017).
Die Forschung zeige jedoch: Die ersten Christinnen und Christen äußerten durchaus Kritik am römischen Imperium – in vielfältigen, oft subtilen Formen. Dies hat weitreichende Konsequenzen: „Die Materialbasis, auf deren Grundlage wir über das Verhältnis von Staat und Kirche oder über Widerstand gegen unterdrückerische Regime aus christlicher Perspektive nachdenken, ändert sich damit fundamental“, erklärt Heilig, der durch mehrere Monographien bereits Grundsteine für diesen Paradigmenwechsel gelegt hatte und dafür 2018 den Mercator Award der Geistes- und Sozialwissenschaften erhielt. Damit sei die im Band vereinte Forschung gesellschaftlich hochrelevant, wie etwa auch aktuell die zentrale Rolle der Bibel im US-politischen Diskurs unterstreiche.
„Der Band versucht, wissenschaftlich Neuland zu betreten, ist zugleich aber als Lehrbuch für fortgeschrittene Studierende gedacht“, betont Christoph Heilig. Damit soll einerseits das neue Forschungsparadigma international stärker in den theologischen Curricula verankert werden, um die Diskussion auf lange Zeit zu prägen.
Heilig, der als Mitglied des Jungen Kollegs der Bayerischen Akademie der Wissenschaften auch zu den Auswirkungen von KI auf die Geisteswissenschaften forscht, versucht damit auch eine seiner Meinung nach dringend notwendige Wende mit einzuleiten: „In Zeiten von KI-Agenten, die zunehmend geisteswissenschaftliche Forschungsprozesse simulieren und immer beeindruckenderen Output generieren, müssen wir unser Verständnis als Forschende weiter definieren als über die bloße Produktion von Aufsätzen und Büchern. Wir müssen die pädagogische Dimension, die Vermittlung von Wissen und die Befähigung zur mündigen Partizipation an öffentlichen Diskursen, dringend verstärkt mitdenken.“
Christoph Heilig (Hg.): Empire Criticism of the New Testament: New Approaches. WUNT I 550. Mohr Siebeck 2025. Open Access verfügbar.
Christoph Heilig: Webseite